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Festvortrag von Sandra Maischberger: Aufruf zur Leidenschaft

„Aufruf zur Leidenschaft“

Notizen der Journalistin Sandra Maischberger zur Rede anlässlich der feierlichen Immatrikulation zum Wintersemester 2006 /2007 an der Freien Universität Berlin am 18. Oktober 2006

Es gilt das gesprochene Wort

Herr Präsident, Herr Dekan, verehrte Gäste,
Liebe Studentinnen und Studenten,

Ich fühle mich sehr geehrt, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Als Nicht-, lange Zeit geradezu Anti-Akademikerin. Das Streben nach Wissen bestimmt zwar mein Leben, nicht aber im engeren Sinne der Wissenschaft.

Ich habe mich spezialisiert darauf, Fragen zu stellen und begnüge mich damit, zu hoffen, dass aus Ihrem Kreis genügend heranwachsen, die Antworten geben können.

Falls Sie aber von mir heute erwarten, dass ich Antwort darauf gebe, wie aus Erstsemestern erfolgreiche Berufstätige werden, muss ich Sie enttäuschen.

Ich habe nämlich keine Ahnung von akademischen Laufbahnen. Meine eigene dauerte ganze 3 Tage.

Zum eigenen Werdegang

Es war keine Liebe auf den ersten Blick: der 1. Tag an der LMU Herbst 1985 - ich war gerade 19 geworden – war durch 2 wesentliche Eindrücke gekennzeichnet.

Der erste war so oberflächlich wie ungerecht: ich fand mich unter lauter Gleichaltrigen wieder, mit denen ich nichts, schon gar nicht meine nächsten 4 Jahre teilen wollte. Es war ein Kreis von BWL-Studenten, gegen deren Aussehen und Benehmen (Mitte der 80er Jahre!) die Wallstreet heute geradezu Hippiehaft wirkt.

Der zweite Eindruck aber war wichtiger: der Text, den wir am ersten Studientag zu bearbeiten hatten, gehörte zu den unverständlichsten, die ich je gelesen hatte. Ein Satz, beinahe über eine ganze Seitenlänge, fast nur Hauptwörter, viele nicht deutsch. Inhalt: Beschreibung des Vorganges der Kommunikation. Das schien mir wie ein Programm zum Verlernen jeglichen Talents.

Den zweiten Tag verbrachte ich im Copy-Shop.

Am Dritten schritt ich zur Exmatrikulation.

Hat je jemand nach akademischer Ausbildung gefragt? Ja – dazu später.

Zwei Faktoren haben mir diesen Schritt erleichtert: ich hatte einen Job beim Radio in der Tasche. Und eigentlich wollte ich nicht studieren, jedenfalls nicht sofort.

Mein Plan nach dem Abitur war: ein Jahr Weltreise, finanziert durch Gelegenheitsarbeiten oder Au pair.

Dazwischen kam: eine Annonce in der Süddeutschen Zeitung, in der der Bayerische Rundfunk Discjockeys und Moderatoren suchte. Im Oktober 1985 war ich mit einem journalistischen Musikprogramm 2x monatlich auf Sendung, die Weltreise wurde verschoben.

Reichte das als Start ins Berufsleben? Ja und nein.

Ich nahm in den kommenden Monaten alle Jobs an, die ich kriegen konnte. Das waren meine 2 Jahre „Generation Praktikum.“ Beispielsweise „schrieb“ ich  für die Stadtzeitung München alle 2 Wochen das Musikprogramm. Das hieß in Wahrheit: Jede einzelne Kneipe anrufen, das Programm abtippen, abgeben. Immer in der Hoffnung, jemand würde einmal mein Talent entdecken - in Sätzen wie „Jazz-Keller Freimann, Tony’s Band. Freitag, 22:00 Uhr.“

Mein monatliches Einkommen? Ca. 800,-- DM. Die 50 m2-Mansarde im Münchner Norden kostete 500,-- DM.

Nach 2 Jahren bewarb ich mich bei der Deutschen Journalistenschule in München. Die Aufnahmeprüfung wurde mir als aussichtslos geschildert, auf tausende  Bewerber warteten 45 Plätze pro Jahr. Aber die Schule nahm mich auf.

Damit hatte ich, was ich an Ausbildung wollte: 15 Monate Kompaktkurs, ohne Studium, eine praktische Einweisung in Techniken und Formen des Journalismus. Dort lernte ich, mit Messer und Gabel umzugehen. Statt mich, um im Bild zu bleiben, intensiv mit der Beschaffenheit eines Filets auseinanderzusetzen.

Kritik an der (eigenen) akademischen Ausbildung

Was habe ich gewonnen? 21 Jahre lückenlose Nachweiszeiten in der Rentenkasse.

Was fehlte mir damals, was fehlt mir heute ohne akademische Ausbildung?

Gesellschaftliche Legitimation? Nein. Ich war eine leidenschaftliche Gegnerin des „Studierens–egal-was“. Das war mir, auch in der Beobachtung meiner Freunde, zu beliebig/faul/Karriere- statt Inhaltsorientiert. Bestätigt fühlte ich mich manchmal durch Kollegen in den Redaktionen, die, ohne Erfahrung, aber einem Abschluss in Theaterwissenschaften, anderen, oft besseren vorgezogen wurden.

Karrierechancen? Nur einmal: als ich mich, mit Unterstützung meiner Chefs im Jugendfunk, offiziell um ein Volontariat beim Bayerischen Rundfunk bewarb. Der damalige Leiter der Abteilung Ausbildung verabscheute Studienabbrecher. Leider konnte ich ihm nicht klar machen, dass ich nicht abgebrochen, sondern gar nicht erst angefangen hatte.

Vor ein paar Monaten wurde mir übrigens zum ersten Mal eine ordentliche Stelle in einer Sender-Hierarchie angeboten. Es hat mich gefreut - und beruhigt: dass 21 Jahre Berufserfahrung am Ende doch die fehlende akademische Ausbildung ausgleichen.

Sachverstand? Manchmal. Es ist schwer, Wissenslücken mitten im Berufsleben zu füllen. Henry Kissinger sagte einmal, er habe im Amt von der Substanz gelebt.

Das heißt, Sie werden vielleicht erst wieder als Rentner Zeit haben, sich etwas anzueignen, was nicht unmittelbar im Umkreis Ihres beruflichen Weges liegt.

Der Lebenslauf Kissingers ist übrigens interessant: geb. 1923 im bayerischen Fürth; 1938 mit den Eltern in die USA emigriert. Highschool. Fabrikarbeit für den Unterhalt der Familie, deshalb Wechsel in eine Abendschule. 1943 bis 1946 Dienst in der Armee, u.a. in Deutschland. Nach Kriegsende Dozent an European Command Intelligence School in Oberammergau. 1947 Harvard, 1952 Master, 1954 Promotion zum Dr. phil. Eine zugegebenermaßen einzigartige, durch den Krieg bestimmte Biografie, aber für mich vorbildhafte Kombination aus Lebens-, Berufs- und Studienerfahrung.

Was habe ich gewonnen durch die Entscheidung vor 20 Jahren?

Eine Aufgabe: ohne Studium zu lebenslangem Lernen gezwungen zu sein. 

Mittlerweile genieße ich sogar das Privileg, damit Geld zu verdienen. Als Journalistin beschäftigte ich mich gestern mit der sog. Unterschicht und Kindesmisshandlungen, heute Abend im weitesten Sinne mit dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, nächste Woche steht die Gesundheitsreform auf dem Plan. Und zwischendurch schneide ich einen Film über Helmut Schmidt, dessen Biografie alle möglichen Bereiche berührt.

Schmidt ist übrigens eines meiner Vorbilder in Sachen Bildung: nach dem Krieg musste er aus wirtschaftlichen Gründen auf sein Traumstudium Architektur verzichten und wählte Volkswirtschaften, auf schnelle Verdienstmöglichkeiten ausgerichtet. 1949 hatte er bereits sein Diplom in der Tasche. Alles weitere „studierte“ er im Laufe des Lebens. Inzwischen hat er etwa 30 Bücher verfasst. Wirklich bemerkenswert ist aber seine schier unerschöpfliche Neugierde: noch heute, in seinem 88. Lebensjahr stellt er Fragen. Im Gegensatz zu manch anderem, der permanent Antworten gibt, auch ungefragt. Ein wahrhaft exzellenter Mann.

Exkurs: Exzellenz

Was ist exzellent? Aus aktuellem Anlass ein kleiner Exkurs.

Ihre Universität hat sich gerade dem sog. „Exzellenzwettbewerb“ gestellt  - diesem „Deutschland sucht die Super-Uni“ mit DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker in der Rolle von Dieter Bohlen und Bildungsministerin Annette Schavan als Nina Hagen. Die FU hat nur knapp einen Platz unter den ersten drei Universitäten des Landes verpasst. Ist sie deshalb nicht exzellent?

Ich will mich heute nicht zu den Details dieser Auseinandersetzung äußern, dazu kenne ich mich nicht genügend mit Hochschulpolitik aus. Aber sicher gibt es, anders, als Ihr Universitätswappen es hoffen macht, nie eine, sondern immer mindestens zwei Wahrheiten: Ihr Asta-Vorsitzender hat Recht damit, vor möglichen Entsolidarisierungs-Effekten eines solchen Wettbewerbs zu warnen. Gleichzeitig können Sie froh sein, dass Sie einen Präsidenten haben, der Ihre Universität (und damit Sie alle) im globalen Bildungs-Wettbewerb (der nun mal existiert) fit machen will.

Exzellent dürfen Sie sich dennoch fühlen. Immerhin hat Ihre Universität gegen jede Erwartung einen Platz unter den zehn besten im Lande erreicht. Und wenn ich Ihren Präsidenten eben richtig verstanden habe, dann sind Sie im Ranking der Universitäten in Deutschland sogar die Nummer 1.

Das ist in jeder Hinsicht vorbildhaft: wer soll Sie abhalten, dennoch Elite zu sein – nach Ihren eigenen Maßstäben?

Befreien Sie das Wort „Elite“ für einen Moment aus seinem historischen oder ideologischen Kontext: Elite kommt von elire, auswählen.

Auswahl ist immer eine Frage der Kriterien, die derjenige setzt, der auswählt.

Setzen Sie Ihre eigenen Kriterien – Ihrem Talent und Ihren Bedürfnissen angepasst.

Fühlen Sie sich als etwas Besonderes – einzigartig auf diesem Planeten sind Sie ja schon.

Warum sich nicht als Ziel im Leben setzen, exzellent zu sein, herausragend, besonders gut - in dem Rahmen, den Sie selbst bestimmen, mit den Möglichkeiten, die Ihnen gegeben sind. Wenn mein Weg für irgendetwas (außer Glück) steht, dann für dies: aus einem schmalen Talent das Größtmögliche zu machen. Wenn auch Sie nicht daran glauben, dass Ihre Taten in diesem Leben erst im nächsten belohnt werden, dann bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als Ihre kurze Lebensspanne zu nutzen, um die Ihnen mitgegebenen Begabungen zu perfektionieren.

Nur dann werden Sie im Wettbewerb bestehen.

Aufruf zur Leidenschaft

Bleibt nur die Frage: wie wird man besonders gut in einer Sache?

Die Antwort darauf ist So unterschiedlich, wie Sie es hier sind: Sie haben  mathematische, soziale, sprachliche Begabungen, Sie sind nicht vergleichbar und insofern ist jeder Weg anders.

Nur eines brauchen Sie in jedem Fall, um exzellent zu werden: Leidenschaft.

Was meint Leidenschaft?

Gegoogelt ergibt das Wort  11.800.000 Seiten in 0,50 Sekunden, nichts, was man in kurzer Zeit verwerten könnte.

Für die Leidenschaft, die ich meine, findet jeder unterschiedliche Beschreibungen. Günter Jauch erzählte einmal, dass er in seinen frühen Radiotagen ohne Not an die Frühschicht noch die der Mittagsredaktion und eine am Abend anhängte – aus Spaß am Beruf. Hannah Arendt definierte ihr Dogma: „Nur wer sich wirklich für die Welt interessiert, darf in ihr Verantwortung übernehmen.“ Für Theodor Mommsen galt: "Ohne Leidenschaft gibt es keine Genialität“.

Ausführlicher möchte ich Max Weber  zitieren, dessen Vortrag über „Politik als Beruf“ aus dem Jahr 1919 mir häufig Anleitung war – auch im Beruf der Journalistin:

„Man kann sagen, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß. Leidenschaft im Sinn von Sachlichkeit: leidenschaftliche Hingabe an eine „Sache“, an den Gott oder Dämon, der ihr Gebieter ist. Nicht im Sinne jenes inneren Gebarens, welches mein verstorbener Freund Georg Simmel als „sterile Aufgeregtheit“ zu bezeichnen pflegte, wie sie einem bestimmten Typus vor allem russischer Intellektueller eignete, und welches jetzt in diesem Karneval, den man mit dem stolzen Namen einer „Revolution“ (sic!) schmückt, eine so große Rolle auch bei unseren Intellektuellen spielt: eine ins Leere verlaufende „Romantik des intellektuell Interessanten“ ohne alles sachliche Verantwortungsgefühl.“

Ersetzen Sie das Wort „Politiker“ mit dem Beruf Ihrer Wahl, und Sie werden feststellen, dass Webers Mischung aus „heißer Leidenschaft“ und „kühlem Augenmaß“ für viele Bereiche Leitbild sein kann. Zu Recht berühmt wurde vor allem die folgende Stelle seiner Rede:

„Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Es ist ja durchaus richtig, und alle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, dass man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre.“

Ich möchte Ihnen heute einen radikalen Rat geben, den Sie bitte gleich wieder vergessen: tun Sie nichts, was in Ihnen keine Leidenschaft weckt. Dafür ist Ihr Leben zu kurz. Wenn Sie während des Studiums merken, das gewählte Fach füllt Sie nicht aus – lassen Sie’s. Suchen Sie sich ein anderes Fach. Oder einen gänzlich anderen Weg.

Wohlgemerkt: gemeint ist nicht, bei der ersten Unbequemlichkeit die Flinte ins Korn zu werfen. Mangelnde Leidenschaft  zeigt sich nicht in der Lustlosigkeit einer Hausarbeit gegenüber. Infiziert sind Sie, wenn Sie trotzdem vom Großen und Ganzen nicht lassen können.

Suchen Sie nach dem Bereich, der Sie entzündet. Falls Sie einwenden, man müsse nach dem Bereich suchen, in dem die Arbeitsplatzchancen die Besten sind, ist das nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist die: wenn Sie einen Beruf ergreifen, der Ihnen nicht wirklich Spaß macht, werden Sie darin nie gut genug sein.

Andere werden besser sein.

Und Ihre Arbeitsplatzchance minimieren. 

Beobachtung: Ausbildung & Erfolg

Ein Trost: man kann sich für alles begeistern! Keiner meiner Gäste war mir je langweilig, selbst die, von denen ich es erwartet hatte. Sich für eine Sache zu begeistern ist einfacher, als Sie denken. Der Schlüssel dazu heißt Intensität. Wenn Sie eine Sache nur intensiv genug betreiben, werden sie am Ende gar nicht anders können, als dies leidenschaftlich zu tun.

Noch ein Trost: wenn Sie den Weg zur Leidenschaft partout nicht finden, können Sie dennoch erfolgreich sein. Einige Beispiele:

Das „Falsche“ studiert und in einem ganz anderen Fach reüssiert: Angela Merkel – Physikerin;

Das Richtige studiert und doch nichts verstanden: George W. Bush – bachelor in history

Ohne Schulabschluss doch etwas geschafft: Richard Branson, Gründer von Virgin 

Kein Schulabschluss, abgebrochene Lehre, kein Schein an der Universität, und doch Ehrendoktor in Haifa und Gast-Professor in Princeton: Joschka Fischer

Manche ereilt der Erfolg auch posthum, so wie Vincent van Gogh, nach dem unsere kleine Produktionsfirma benannt ist. Eine Letzte Hoffnung bleibt immer...

Nachtrag

Zum Schluss soll ich Ihnen etwas von einer guten Freundin ausrichten, die selbst gerade studiert.

Sie schreibt in einer Email: „Sag Ihnen, dass Studieren anstrengend, frustrierend, kraftraubend und  manchmal sinnlos ist, ABER: Es wird die geilste Zeit sein, die man bis dahin gehabt hat und es wird zu jeder Träne tausend leuchtende Glühwürmchen geben. Das alles hätte ich gerne gehört. Traurig aber wahr: Ich hätte es wohl an meinem ersten Tag nicht geglaubt.“

Nun wünsche ich Ihnen ein schönes Studium. Ich beneide Sie....

 

Schlagwörter

  • Sandra Maischberger, Immatrikulationsfeier, Freie Universität Berlin, FU, feierliche Immatrikulation